Brief von Major Waldemar Lancelle
an die Botschaft der Vereinigten Staaten in Tokio
Marugame 30/XI. 1915
Kriegsgefangenen Heim
Ew. Excellenz
habe ich die Ehre folgende Beschwerde ergebenst zu unterbreiten.
Unsere Aufsichts-Offiziere haben mir oft ihre Zufriedenheit über das gute Verhalten der hiesigen Kriegsgefangenen ausgedrückt.
Daher war auch unsere Behandlung gut.
Wenn die Behörden nach der Flucht verschiedener Offiziere aus Fukuoka strengere Bewachung einführen, so verstehen wir das.
Unverständlich sind uns jedoch Maßnahmen, welche nicht die Sicherheit unserer Haft erhöhen, sondern nur erniedrigend und demüigend wirken.
Neuerdings sind hier für die Offiziere zwei Appells befohlen worden.
Diese Maßnahme ist gut zu verstehen. Man verlangt aber von den 7 Offizieren, daß dieselben sich in Parade aufstellen und von einem jungen Leutnant mustern lassen. (Ein Major und drei Hauptleute sind unter den 7 Offizieren).
Heute fand die Musterung durch einen Leutnant und einen Fähnrich statt.
Der Leutnant verlangte von uns stramme Haltung, also Parade-Aufstellung.
Ich als Stabs-Offizier sowie meine Offiziere empfinde das tief verletzend.
Selbst haben dafür unsere Aufsichts-Offiziere ihr Verständnis und Bedauern ausgedrückt.
Sieben Offiziere sind mit einem Blick zu übersehen.
Parade-Aufstellung von 7 Offizieren vor einem jungen Leutnant ist als Sicherheits-Maßregel nicht nötig und als Disciplinar-Maßregel bei unserem guten Verhalten ganz überflüssig.
Die Maßregel wirkt daher als ungerechte Schikane.
Die Maßnahme erscheint mir auch gegen den Geist des Befehls Sr. Majestät des Kaisers von Japan, welcher würdige Behandlung der Kriegsgefangenen nach deren Rang will.*
Da in Japan der Wille des Kaisers für jeden Untertanen höchstes Gesetz sein soll, so wird Euer Excellenz wenig Mühe haben die Abschaffung einer Maßregel herbeizuführen, welche gegen den kaiserlichen Willen zu verstoßen scheint.
Für jede Mühewaltung wäre Euer Excellenz aber herzlich dankbar.
Ew. Excellenz
ergebenster
W. Lancelle
Kaiserl. deutscher Major im III. Seebatl.
Anliegend: Instruktion für die Kriegsgefangenen
* Anm.: Gemeint ist vermutlich die folgende Schrift, die die Kriegsgefangenen bei der Abfahrt von Tsingtau nach Japan empfangen haben. Diese Schrift, so behauptet Hauptmann Lancelle, wurde im Namen des japanischen Kaisers ausgegeben.
Instruktion für die Kriegsgefangenen
1. Die Kriegsgefangenen werden von der [=den] Kaiserl-Japanischen, Gerechtigkeit achtenden Truppen humanisch ihren Stände [=ihrem Stande] und Range gemäss gehandelt. Sie werden ohne weiters [=weiteres] nie beleidigt und misshandelt, infolgedessen muss jeder ganz beruhigt im allen willfährig sein.
2. Die Kriegsgefangenen müssen auf die Frage nach dem Namen und Stände [=Stande] treu und ehrlich antworten.
3. Wenu [=Wenn] die Kriegsgefangenen unwillfährig sind, werden sie eingesperrt, verhaftet, oder disziplinar bestraft. Falls sie Flüchtversuch unternehmen wollen, so müssen sie vorher bereit sein, in Labensgefahr [=Lebens-] treten, da die japanischen Truppen diejenige unruhige Tat auch mit Waffengewalt bekämpfen müssen.
4. Verbrechen der Kriegsgefangenen wird beim Kaiserl-Japanischen Kriegsgericht untersucht und beurteilt.
5. Die Waffen, Munition, Pferde, amtliche Schriften und andere Sachen zum Kriegsbrauch, welche die Gefangenen bei sich tragen, werden in Beschlag genommen. Wer sich aber im Offizierrange befindet, kann gelegentlich die Säbel und andere Waffen (beim Feuerwaffe [=bei Feuerwaffen] die Munition entnommen) tragen.
6. Die Privatsache [=privaten Dinge] der Kriegsgefangenen bleiben immer in ihrem Besitz, aber diese können entweder absichtlich von dem [=den] japanischen Truppen aufbewahrt oder bequemlichkeitshalber von dem Besitzer bei sich getragen werden.
7. Die Kriegsgefangenen werden in den nächsten Tagen nach Japan zum Gefangenenheim befördert, werches [=welches] für die Aufrechterhaltung ihrer Ehre und ihre [unnötig] Gesundheit gut genug erichtet [=errichtet] ist.
8. Den Gefangenen wird das Einkaufen jeder Geschmachsache [=jedes Genussmittels] und die briefliche Verkehrung unter der Besichtigung der Aufsichtsoffiziere gestattet.
9. Nach dem Friedensschluss zwischen Japan und Deutchland [=Deutsch-] werden alle Gefangenen nach ihrem eigenen Lande zurüchgesandt [=zurück-].
10. Nach dem Eintraf in das [= Eintreffen im] Gefangenenheim muss jeder alle Vorschriften in demselben befolgen.